Ein kurzer Streifzug durch die Geschichte der Musikvermittlung
In Berlin um 1900 gab es „Jugendkoncerte“ mit der Absicht, die Kunst ins
Volk zu tragen und weiten Schichten, besonders sozial benachteiligten,
Augen und Ohren für das Gute und Echte zu öffnen.
Vor allem Programmmusik wurde gespielt, um es für Kinder verständlicher
zu machen (außermusikalische Handlung, das das kindliche
Vorstellungsvermögen anspricht).
Im 20. Jahrhundert setzte die Reformpädagogik mit verschiedensten
Kunsterziehungsbewegungen ein. Es gab ein gründliche
Bewusstseinsveränderung, was „kindgerecht“ ist und was nicht: das
Elementare spielte jetzt eine Rolle, woraus Musik besteht: Klangmaterial
(musikalische Bausteine, Intervalle, Rhythmen, Motive),
Gestaltungsprinzipien (Melodieaufbau), Spannungsverlauf
(Kontrastbildungen, Vorder- Nachsatz) – Hörerlebnisse als
geistig-seelisches Prinzip. Hier soll das Erleben melodischer,
harmonischer oder rhythmischer Gestaltungsvorgänge ebenso Geltung
gewinnen wie die bewusste Verarbeitung der gehörten Musik zu
verstehbaren Mustern. Ein Beispiel daraus: „What makes Musik Symphonic? A
Study of Intervals“ – Titel von Bernsteins Young People´s Concerts.
Das Konstrukt “Komposition” wird hier sehr einfach dargelegt.
In den 90iger Jahren des 20. Jhdts bezieht man die außermusikalischen
Erfahrungen der Kinder mehr ein; die Lebenswelt der Kinder ist z.B.
geprägt von Spiel und Tanz, Gespräch, Fest, Trauer, Abschied,
Einsamkeit,…etc. Entsprechende Erfahrungen sind in der Musik Klang
geworden. Die Musik teilt uns Affekte mit, Bewegungen und Spannungen,
sie erscheint als Sprache, Tanz oder Spiel.
Das Ziel: einerseits sollen die Zuhörer etwas über sich und die Welt
erfahren und andererseits auch über die Musik und über die Lebenswelt,
aus der diese Musik erwachsen ist.
Vorreiter in der Musikvermittlung waren v.a. Engländer.
Richard McNicol, Simon Rattle und das London Symphony Orchestra
entwickelten Musikvermittlungsprojekte, die weit weg waren von
„Zauberlehrling“, „Moldau“ und „Peter und der Wolf“.
Ihr Schwerpunkt war die zeitgenössische Musik (Stockhausen, Berio,
Ligeti Schönberg). Werke dieser Komponisten wurden als Grundlagen
genommen, um die Kinder selbst eine eigene Musik entwickeln zu lassen.
Vor dem Hintergrund der kreativen Erfahrung wurden die
Originalkompositionen für die Kinder zu einem faszinierenden
Hörerlebnis.
„Discovery Concerts“ sind Konzerte mit bestimmten Themen, pädagogisches
Konzertprogramm mit Leitfaden, Rahmen. Z.B. Wie setzen Komponisten die
Klangfarben ein, die ein Orchester bietet? Wie funktioniert eine ABA –
Struktur? Wie werden traumatische Erfahrungen in große Kunstwerke
umgesetzt?
Bei einem Seminar von McNicol, bei dem ich mitwirken durfte, wurde ein
bestimmtes Motiv aus dem Orchesterwerk entnommen, die Stimmung
analysiert, und mit einfachen Orff-Instrumenten wurde versucht, eigene
Motive und Stimmungen zu entwickeln… – es war ein äußerst spannendes
Erlebnis.
Für meine Projekte ist und bleibt Leonard Bernstein DAS große Vorbild.
In seinem Konzert für Kinder zum Thema „Was ist symphonische Musik“ meinte Bernstein:
„Es gibt nichts, was junge Menschen nicht lernen wollen oder nicht
verstehen können. Sie wollen wirklich Musik verstehen und nicht nur
liebliche Märchen hören, die ihnen die Musik leicht verständlich machen.“
Das ist eine sehr ernsthafte Einstellung und ein gewaltig hoher Anspruch an das kindliche Publikum.
In dem Vortrag „Was ist symphonische Musik“ geht es um die Entwicklung
in der Symphonie, Entwicklung eines Themas, wie es sich am Anfang
vorstellt (5.Beethovens), wie es erweitert oder verkürzt in Erscheinung
tritt, wie es auf einer anderen Tonstufe erscheint, …etc.
Das sind hochkomplexe Vorgänge, die aber in der Sprache und humorvollen
Präsentation Bernsteins für Kinder leicht verständlich gemacht wurden.
Die „Young People`s Concerts“ gab es von 1958 – 1972 (53 Konzerte hat er
zu den verschiedensten Themen gegeben, zusätzlich gestaltete er Radio-
und Fernsehsendungen).
Auch Simon Rattle mit seinem Projekt „Rhythm is it!“ begeisterte mich
und zu jenem Zeitpunkt, als der Film in den Kinos lief, hatte ich
bereits die Idee für „Pùnkitititi – Mozart für Kinder“ (siehe
Pùnkitititi) geboren.
Ein weiteres großes Vorbild ist „Musik zum Anfassen“.
Mit Projekten wie „The Rakes Progress“ und „Julius Cäsar“ zeigte Dietmar Flosdorf, was alles Musikvermittlung sein kann.
Machen sie sich ein eigenes Bild darüber unter www.musikzumanfassen.at
Quelle meiner Recherchen: Spielräume Musikvermittlung, Konzerte für Kinder Con Brio 2002